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Bernhard Meyer:
Eine kurtze, doch nähere Erklärung und Befestigung des Christlich-Reformirten Catechismi


herausgegeben und eingeleitet von Helmut Ackermann

Beiträge zur Katechismusgeschichte Band 5

XXXVII+378 Seiten; geb. mit Schutzumschlag; 27,50 € (D); 48,40 sFr
ISBN 3-931395-09-X

Auszug aus der Einleitung
Bernhard Meyer (1657-1730) und sein Werk

"Einer der führenden Männer der Kirche in jener bedeutsamen Wende der Zeiten", so urteilt Hermann Klugkist Hesse über Bernhard Meyer und fügt hinzu, er sei ein "geistig beweglicher und einflußreicher Prediger" mit vielen Gaben gewesen. Er habe sich "für kirchliche Belange schriftstellerisch betätigt", habe drei der "hervorragendsten Gemeinden am Niederrhein als Prediger gedient", auf einer "schönen Höhe geistiger Beweglichkeit und Klugheit gestanden", und seine theologischen Arbeiten wie "seine trefflich biblisch-gehaltvollen Predigten" seien aus einer "gediegenen Kenntnis der Schrift" erwachsen. Max Goebel würdigt Meyers "große Amtstreue und christliche Entschiedenheit". Johann Arnold von Recklinghausen nennt ihn einen "vorzüglichen Prediger und Katecheten". Otto R. Redlich bezeichnet ihn als einen "streitbaren Herrn". In ihm sei "wohl die eigentliche Triebkraft des Kirchbaus" in seiner ersten Gemeinde (Düsseldorf-) Urdenbach zu sehen. Und schließlich schreibt ihm sein Zeitgenosse und Cronenberger Amtsbruder - und zugleich dritter Diener am Wort in seiner letzten Gemeinde Elberfeld - Johann Hermann Ovinius die Fähigkeit zu, "nicht allein Milch-Speise der ersten Glaubens-Gründen, sondern auch festere Speise auß dem Prophetischen Wort" aufzutragen. Trotz dieser lobenden Stimmen hat fast keines der einschlägigen Lexica (Zedler, Moser, RGG, RE, TRE, EKL) Bernhard Meyer in seine Spalten aufgenommen. Auch Graffmanns Unterricht im Heidelberger Katechismus führt ihn nicht an. Lediglich Jöchers Allgemeines Gelehrten-Lexikon erwähnt ihn mit kurzen Lebensdaten und dem Titel seiner Katechismuserklärung.

Bernhard Meyer wurde am 19. April 1657 in Kirchhuchting bei Bremen geboren. Sein Großvater Elard Meyer (1593-1667), aus Bremen stammend, war zu Beginn des 30jährigen Krieges reformierter Prediger im unweit gelegenen Blumenthal. Dessen beide Söhne ergriffen denselben Beruf, Paul als Nachfolger seines Vaters in Blumenthal, Johannes in Kirchhuchting, wo Bernhard geboren wird. Mit neunzehn Jahren beginnt er an der Bremer Universität, dem "Gymnasium illustre" - Immatrikulation am 6. April 1676 -, das Studium der Theologie. Unter seinen akademischen Lehrern ist der Professor für Theologie, Logik, Metaphysik und Mathematik Gerhard Meier (1616-1695) hervorzuheben, der just in Bernhard Meyers erstem Semester eine Schrift über den Catechismus Heidelbergensis publiziert (2. Auflage posthum 1698). Die vierzig Jahre seines Rektorats - von 1655 an - markieren "die eigentliche Blütezeit der Schule". Denn auf das scholastische Prinzip ohne biblische Grundlage, das die Universität bisher pflegte, trifft jetzt die bahnbrechende Bundestheologie eines Johannes Coccejus, die den Rektor für sich gewinnt. Coccejus (1603-1669), gebürtiger Bremer, von 1630 bis 1636 Professor für biblische Philologie am Gymnasium illustre, hat zwar nicht die Föderaltheologie begründet - der Bundesgedanke war schon in der reformatorischen Theologie angelegt -, er hat sie aber zur vollen Entfaltung gebracht. Die Dogmatik wird nicht mehr nach den "loci" (Glaubensartikeln), sondern nach den heilsgeschichtlichen Bundesschlüssen, beginnend mit dem "Werkbund" (Adam; dann weiter über Noah, Abraham, Sinai) und endend mit dem "Gnadenbund" (Christus), eingeteilt. Damit greift eine Neubesinnung auf das Wort der Bibel Platz. Zudem ist seit 1670 Prediger Theodor Undereyk in Bremen tätig (St. Martini). Auch seine Forderung nach einem biblisch ausgerichteten Unterricht rückt die Heilige Schrift neu in den Mittelpunkt. Die biblische Föderaltheologie wird Bernhard Meyer zeitlebens begleiten.

Mit dem hier angeeigneten Rüstzeug vollendet er sein Studium an der Universität Duisburg, wo er am 22. Mai 1682 immatrikuliert wird. Der dort in diesen Jahren dominierende Theologieprofessor und zeitweilige Rektor der 1555 gegründeten Universität ist Christoph Friedrich Crell (1658-1700), dem eine orthodox-calvinistische Einstellung nachgesagt wird. Er verfaßte Schriften gegen die Separatisten Schlüter und Copperohl.

Urdenbach

Hier am Niederrhein schlägt Meyers Leben neue Wurzeln. Die erste wächst in Urdenbach, dem seinerzeit einzigen reformierten Ort des Amtes Monheim, eine Seltenheit im Herzogtum Berg. Seit hundert Jahren (1582) wird hier der Heidelberger Katechismus gelehrt. Später wird Urdenbach die Muttergemeinde von Düsseldorf-Benrath, -Eller, -Wersten, -Holthausen, -Garath sowie der Gemeinde Monheim mit -Baumberg und Leverkusen-Hitdorf sein. Nachdem die Düsseldorfer Classis am 16. und 17. März 1683 seine Schul- und Kirchenzeugnisse geprüft und für gut befunden hat, wird er am 28. April im alten Urdenbacher Predigthaus vom Inspector der Classis, dem Düsseldorfer Prediger Harding ab Hamm, ordiniert und eingeführt. Gleich auf dem ersten Classisalkonvent, an dem er als ordentliches Mitglied teilnimmt, wird er in den Vorstand berufen. Das Protokoll der ersten Urdenbacher Consistorialsitzung unter seinem Vorsitz beginnt er am 2. Mai 1683 mit den Worten Als die hinweg eylen Exod. 12. Damit weist er - der biblische Zusammenhang ist die Einsetzung des Passahfestes - auf den Auszug Israels aus Ägypten hin und bringt in Erinnerung, daß auch die christliche Kirche das auf Erden wandernde Gottesvolk ist. Dasselbe Bibelwort schreibt er "Anno 1685, den 8. Februar" über seine Eintragungen in einer mindestens bis 1931 erhalten gebliebenen holländischen Staatenbibel - die übrigens ein Indiz für Meyers Vertrautheit mit der niederländischen Sprache ist -, wobei er den Vers (11) mit dem Kapitel verwechselt. Es handelt sich hier um seine handschriftlichen Familienaufzeichnungen. Er beginnt sie mit dem Bild, die Welt und das Tun der Menschen sei gleich einer Komödie, in dem jeder irgendeine Rolle spiele. Die Idee, die Welt und das Leben als Theaterstück darzustellen, ist nicht neu. Der eben verstorbene spanische Dichter Pedro Calderon de la Barca (1600-1681) hatte wenige Jahrzehnte vorher das als Auto sacramental bezeichnete geistliche Spiel "Das große Welttheater" geschrieben (1645). Calderon bezog das Motiv von der Welt als Theater aus der literarischen Tradition, die den Archetyp dieser Vorstellung in der griechischen Antike findet. In seinem Werk erscheint die Welt als Bühne, das Leben als Spiel; der Urheber und Lenker des "Gran teatro del mundo" ist Gott, und Christus schenkt als Mittler zwischen Himmel und Erde den Menschen die Gnade zum Gehorsam. Dabei sei nicht entscheidend, das habe schon Seneca gesagt, wie lange einer - innerhalb der Grenzmarkierungen von Geburt und Tod - auf der Bühne des Lebens spiele, sondern wie gut er seine Rolle wahrnehme.

Greift man weiter zurück, so legt Bernhard Meyers Vergleich des Lebens mit einer Komödie eine Assoziation zu Dante Alighieris Divina Commedia nahe. Hier legt der Mensch den Weg durch das "Inferno", seinen neun Höllenkreisen und danach durch das "Purgatorio" mit seinen neun Räumen und sieben Büßerterrassen zurück. Schließlich führt Dantes Gedicht den Verstorbenen zum "Paradiso" als dem Gipfel des Läuterungsberges mit seinen neun kreisenden Himmeln. Der Dichter nennt sein Werk eine Komödie (ursprünglich ohne den Zusatz "divina"), "weil es furchtbar und häßlich beginnt und mit dem Schönen und Wünschenswerten endet". Aber wenn Dante das Geschehen und seine Figuren ins Jenseits verlegt, so vergleicht Meyer das diesseitige Leben mit einer Comoedia:

"Die welt und was die armen Sünder darinnen treiben, ist gleich einer Comoedia darinnen der eine diese, der andere eine andere persohn spielet. Der eine ist hoch, der andere ist gering, der eine reich, der andere bettelarm, der eine gewinnt, der andere verlieret, der eine wird gebohren, der andere begraben. Jung und Alte, gesunde und kranke und freye laufen durcheinander; der eine steigt, der andere fällt, der eine weinet, der andere lachet. Biß, o bedenks, biß der todt die gardinen zuzeugt, und das oft, wann das spiel am besten ist, da dann ein jeder seine eigenen Kleider anleget und hingehet, woher er gekommen, oder vielmehr wo er Ewiglich seyn wird. Der Schatten dieser Welt vergehet 1. Cor. 7, 31. Du bist erde und sollst erde werden. Gen. 3, 19. In dieser Comoedia haben auch folgende persohnen sich eine Zeit lang sehen lassen nemlich:..."

Anlaß zu Meyers Ersteintragung - ihr folgen die Namen, die familiären und die wichtigsten dienstlichen Ereignisse - ist die Erwartung des ersten Kindes. Er hatte am 16. November 1684 geheiratet. Mit der Herkunft seiner Frau führt bereits zu dieser Zeit eine Lebenslinie Meyers nach Elberfeld, wo er zwanzig Jahre später Prediger sein wird. Eva Katharina Schlösser entstammt einer vornehmen Kaufmannsfamilie, an die in der Elberfelder Innenstadt noch heute die Schlössersgasse erinnert. Ihr Vater Anton Schlösser war Kirchmeister und 1644/46 Bürgermeister der Stadt. In Windrath bei Langenberg wurde er von Friedrich Arnold Schaesberg, dem Besitzer der Herrschaft Hardenberg, ob aus Irrtum oder verbrecherisch, bleibt ewig dunkel, "jämmerlich totgeschossen". Seine Witwe Eva geborene Frowein heiratete dann den Ratsherrn Johannes Cappel, und dessen Familie besaß den nicht mehr existierenden, aber in Urdenbach und Benrath noch heute bekannten "Kappeler Hof" (Kappeler Straße). Hier oder dort, so ist zu vermuten, haben sich Bernhard Meyer und Eva Schlösser kennen gelernt:

"Eva Katharina Schlössers geboren zu Elberfeld Anno 1654 den 11. August von Anthon Schlösser gewesen Bürgermeister und kirchmeister daselbst und Eva Frowein jetzo wittib Kappels. Anno 1684 den 16. November sind wir oben gemelte nemblich Bernhardus Meyer und Eva Catharina Schlössers in den stand der Ehe getreten und von H[ERR]N Ahlio zu Elberfeld gecopuliret worden. Jehovah lehre uns beyderseits männer und weiber zu haben, als hätten wir keine I. Cor. 7, 29, damit wenn der todt diesen Bund wieder auflösen wird, alsdann der Seelen nach in ewigkeit uns ungeschieden mögen wieder in Christo antreffen.

In dieser Eintragung tritt eine charakteristische Grundhaltung Meyers hervor. Er bringt sie mit dem paulinischen echontes hos me - haben als hätten sie nicht - zum Ausdruck, wie er es bereits bei seiner Ersteintragung (s.o.) mit dem ähnlichen Vers 1. Kor. 7, 31 - die Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht - getan hatte. Ist dieser Wesenszug von der Erkenntnis der Flüchtigkeit menschlichen Lebens bestimmt, auf die schon das zweimalige "als die hinweg eilen" hinweisen könnte? Klugkist Hesse spricht in diesem Zusammenhang von "einem gewissen elegischen Hauch", von dem die Eintragungen in der Staatenbibel zeugen. Es geht Meyer dabei offenbar um eine letzte Distanz gegenüber allem, was die Welt zu bieten hat.

In diesem Sinne sehen wir Bernhard Meyer gleich in den ersten Dienstjahren für seine Gemeinde außerordentlich aktiv werden. Er wird der Initiator des Kirchbaus. Sein Unternehmungsgeist koinzidiert mit einer wichtigen kirchenpolitischen Entscheidung: Die Neusser Konferenz vom 6. Mai 1683 ermöglicht den Bau von Kirchen in bestimmten, namentlich genannten reformierten Gemeinden, zu denen auch Urdenbach zählt. Das alte, baufällige Predigthaus hatte sich für die wachsende Gemeinde längst als völlig unzureichend erwiesen. Weil "die jetzige religions-freyheit vielleicht kurtz sey", so das Urdenbacher Consistorium (30. 11. 1684), ist Eile geboten. Es wird ein Grundstück erworben, der Ziegelofen aufgestellt, Kieselsteine aus dem Rhein und andere Baumaterialien herbeigeschleppt, und vor allem macht sich Bernhard Meyer am 12. Juni 1685 "in des Herren nahmen zu Waßer oder pferd" auf eine sechswöchige Kollektenreise rheinaufwärts bis Frankfurt, Hanau, Aschaffenburg, Mannheim und in die Städte und Dörfer der Pfalz, die vor Ludwig XIV. Raubzug noch zu Spenden in der Lage und willens sind, zumal sich die dortigen zahlreichen niederländischen und französischen Fremdengemeinden aus eigener Erfahrung zu Opfern für eine arme Gemeinde gern bereit zeigen. Fast 450 Reichstaler bringt der Prediger Ende Juli 1685 von seiner Reise mit. Die Grundsteinlegung der Kirche erfolgt am 16. Juli 1688. Daß das Gotteshaus als reformierte Predigtkirche (die Kanzel an der Langseite des rechteckigen Grundrisses und die Bänke hufeisenförmig um die Kanzel gruppiert) gebaut wurde, ist vielleicht auf das Vorbild der vier Jahre vorher eingeweihten Neanderkirche in Düsseldorf zurückzuführen.

Die kurze, doch nähere Erklärung

Die Kurze, doch nähere Erklärung ist Meyers einziger literarischer Nachlaß. Bis in sein letztes Lebensjahr hinein hat er daran gearbeitet. Die Herausgabe erfolgt im Zusammenwirken seines Freundes und Amtsbruders Johann Hermann Ovinius mit Meyers Sohn Abraham und einem jungen Theologen namens Konrad Theodor Gülcher. Ovinius verfaßt die langatmige Vorrede - erst auf Seite 18 kommt er auf Meyers Werk zu sprechen -, die sich streckenweise als kirchengeschichtliche Darlegung mit Predigtcharakter präsentiert. Grund der Publikation sei weniger das "sonderliche Verlangen" der Zuhörer Meyers, vielmehr die Beförderung von "Wachsthum in der Gnaden und Erkäntnüs des HErrn [...], welches auch der einztige Endzweck dieser Ausgabe seyn sol". Abraham Meyer, mit einer Urdenbach-Benratherin verheiratet, ist Verleger in Elberfeld. Er stirbt schon 1736 "nach langwieriger Schwachheit". Die Familien Meyer und Gülcher sind gut miteinander bekannt. Vater Sixtus Konrad Gülcher war von 1702 bis 1709 Prediger in (Wuppertal-) Gemarke. Dort wird Konrad Theodor Gülcher geboren und empfängt am 17. August 1708 von Meyer (seit 1706 in Elberfeld) die Heilige Taufe. In der nächsten Generation setzt sich die Verbindung fort: Meyers erster Sohn Johann Anton, nach des Vaters Tode gerade als Prediger von Urdenbach nach Elberfeld gekommen, traut am 14. Oktober 1734 Konrad Theodor Gülcher mit Helena Gertrud Teschemacher in Elberfeld. Ein Jahr vorher verfaßte Gülcher als 25jähriger Kandidat der Theologie die auf die Vorrede folgende Lobeshymne auf seinen Taufvater. Das gestelzte und volltönende Gedicht, das von Meyers "göldnen Mund, von Leffzen voller Gnad" redet, von seiner "Weißheit Schätz", bei denen "Eulen, Fledermäuß sich vor dem Licht verkriechen ... bey schwartzer Schröcken-Nacht", und das in der Zeile gipfelt, des Autors "lieblichster Geruch [möge] sich dehnen weit und breit", ist wohl unter Gülchers Jugendsünden einzuordnen.

Daß sich ein Jahr nach Erscheinen eine höchst kritische Stimme aus dem lutherischen Lager zu Meyers Arbeit hören läßt, verwundert nicht. In einer Leipziger theologischen Zeitschrift moniert der Rezensent heftig, daß die Nennung von katechetischer Unterweisung durch Luther und durch Calvin in einem Atemzug geschehe, sowie das überschwengliche Lob, das dem Heidelberger Katechismus zuteil werde. Luthers Urteil über die Kirchenordnung von Herzog Johann von Cleve (1533) "Bös teutsch, bös evangelisch" fällt der Verfasser auch über Meyers Werk. Es sei "ein neues Denkmal, daß die heutigen Reformierten die alten Irrtümer ihrer Väter noch nicht abgeleget, sondern auch im Catechisiren aufs hartnäckigste und mit scharffen, verleumderischen Beschuldigungen und Widerlegungen der Lutheraner bis itzund verteidigen". Allein daß Meyer die Verfasser des Heidelberger Katechismus, Caspar Olevian und Zacharias Ursinus, als "zwey gottseelig- und gelehrte Lehrer" bezeichnete, kreidet er ihm an. Zum Schluß wird nur zugestanden, daß das Buch Meyers auch einige Vorzüge aufweise, "gleichwie auch offt in den schlimmsten Schriften etwas nützliches zu finden ist".

Die Auflage des Werkes muß nicht gering gewesen sein. Klugkist Hesse spricht (1931!) von "noch heute zahlreich existierenden Exemplaren". Der Wöchentliche Duisburger Adreß- und Intelligenzzettel verbreitet am 18. April 1747 - 13 Jahre nach dem Erscheinen - diese Anzeige:

Bey Hn. Joh. Fried. Bick, Uhrmacher in Elberfeld an der Mirckerbach wohnhafft, sind für nachstehenden Preiß zu haben, des Herrn Prediger Meyers Erklärung über den Heydelbergischen Catechismum. Wer 25 stück nimmt, ad 5 Stüber jedes; wer 100 ad 4 Stüber; wer die partie ad 400 oder 500 nimmet, so viel als noch vorräthig, das stück ad 3 Stüber, auf der Stelle gegen baare Zahlung, dem Ankäuffer sollen ausgefolget werden. Wer von diesem geringen Preiß seinen Nutzen schaffen will, mag sich am ehesten melden. Alle rohe oder ungebunden.

"Katechesieren" heißt für Meyer "einfältige Unterweisung von den Grund-Warheiten des H. Evangelii". Das Wort selbst käme her "von Echo, das ist Widerhall" (Fr. 78). Meyer greift damit zwar die geläufige Ethymologie von "Catechesis" auf, modifiziert sie aber: Nicht würde der Katechet ein Stück des Katechismus vorsagen, worauf das Echo der Kinder erfolge, "wie das Tal oder der Wald einen Widerhall auf unser Geschrei geben, das man Echo nennt", sondern umgekehrt: Es frage der Lehrling, und der gläubige Lehrer antworte. Bei den insgesamt 1958 Fragen und Antworten (ohne den Anhang) ist es nicht vorzustellen, daß Meyer gedacht hätte, es müsse analog dem beim Heidelberger Katechismus vielfach geübten Memoriermechanismus das alles oder das meiste auswendig gelernt werden. Einige Zeilen sind freilich wegen ihrer glänzenden Formulierungen für den Leser einprägsam. An vielen Stellen wendet der Autor das scholastische Verfahren der Zergliederungsmethode an. Insgesamt präsentiert er die reformierte Glaubenslehre in einem in sich schlüssigen, logischen Gedankengang mit Bezug auf den Heidelberger, wobei er die Forderung des Coccejus beachtet, das Ziel sei nicht der Katechismus, sondern die Heilige Schrift. Meyers Werk ist somit, besonders wenn der kirchengeschichtliche Anhang hinzugenommen wird, als ein Erwachsenenkatechismus anzusehen, der dem Gemeindeglied Festigkeit im Glauben und Rüstzeug zu kontroverstheologischem Gespräch vermitteln soll. So geht der Autor beispielsweise auf die in Varianten bis heute immer wieder gestellten Frage ein: Wo war denn die evangelische Kirche vor der Reformation? Die katholische Kirche ist doch die ältere! Meyers Gegenargumentation: Das Papsttum sei bei weitem nicht so alt, wie es sich macht. Es sei wie bei den Gibeonitern Jos. 9, 3ff, sie täten nur so als ob. Auch sei die evangelische Kirche bereits mitten in der Zeit des Papsttums vorhanden gewesen, "doch gefangen wie Israel in Aegypten und Juda in Babel". Das erkenne man an den Wahrheitszeugen in fast allen Jahrhunderten, die römische Irrtümer bestritten haben (Fr. 1192). Von Irrtümern anderer Art ist Meyer selbst allerdings auch nicht frei, etwa wenn er vermutet, von Enosch (= Mensch, Sohn des Seth) würde das deutsche Wort Mensch abstammen (Fr. 110).

Im Ansatz und Einstieg unterscheidet sich Meyers Arbeit von den Katechismus-Erklärungen seiner Zeitgenossen und Nachfolger im 18. und 19. Jahrhundert. Friedrich Adolf Lampe setzt (1721) mit dem Katechismustext ein und erläutert ihn abschnittsweise. Johann Heinrich Schmucker beginnt (1732) mit des Menschen Seligkeit, hält lose Verbindung zum Heidelberger und folgt dessen Duktus in 1019 Fragen und Antworten. Hundert Jahre nach Meyer (1832) veröffentlicht Hermann Friedrich Kohlbrügge, ebenfalls in Elberfeld, seine Erläuternden und befestigenden Fragen und Antworten zu dem Heidelberger Catechismus. Er setzt vor die Frage 1 sechs Fragen über das Wort Gottes als den Grund aller Lehre und behandelt dann dem Katechismustext entlang alle seine Fragen in Dialogform, wobei eigene Erläuterungen gegenüber angezogenen Bibelstellen zurücktreten. Meyers Frage- und Antwortspiel beginnt weder mit dem Katechismustext (Lampe), noch mit dem Thema Seligkeit (Schmucker), noch auch mit dem des Wortes Gottes (Kohlbrügge). Er zieht den anthropologischen Ausgangspunkt vor: "Was ist ein Mensch?" Die Antwort führt zur Seele und von da aus zu Gott. Dabei entwickelt er keineswegs das, was man eine natürliche Theologie nennt. Bemerkenswert ist jedoch, daß er die Gotteserkenntnis "auß der Natur und Offenbahrung" gewinnt. Die Natur führe aber nicht zur vollen Erkenntnis Gottes und zur Seligkeit(Fr. 11). Erst mit seiner 94. Frage steigt Meyer in Text und Ablauf des Heidelberger ein. Bibelstellen zitiert er durchweg nach der Lutherübersetzung, manchmal auch nach der eigenen. Immer wieder rekurriert er - das leitet er mit der Abkürzung "Gr." ein - auf den griechischen Urtext des Neuen Testamentes. "Gr." braucht er auch bei vielen Zitaten aus dem Alten Testament, wo er offenbar zusätzlich die Septuaginta zur Hand hat.

Ist Bernhard Meyer, geschichtlich gesehen, zu den retardierenden Kräften seiner Zeit zu rechnen? Seine Position gegenüber dem Pietismus mit seinem Konventikelwesen ist zumindest vorsichtig. Schon in seiner ersten Gemeinde Urdenbach trat das zum Vorschein. Er ergriff dort einmal die Initiative zu einer Art Konventikel, indem er dem Consistorium (7. 5. 1684) den Vorschlag machte, "ob nicht erbäwlich were daß nach der Sonntags-Catechisation eine partikulire übung mit einigen gliedern nach dem 61. § Synodi Genera[lis] de Anno 1674 gehalten würde?" Darauf wurde beschlossen, "daß wan solches öffentlich in gegenwart des predigers und beysein einiger Eltister [...] geschehe, es sehr erbäwlich seyn konte". Man spürt die Furcht vor Gruppenbildung und Labadismus, und es klingt nicht begeistert, wenn in der nächsten Sitzung (5.6.1684) berichtet wird: "Weylen bey solcher übung, die nun angefangen ist, angemerket, daß ein und andere curieuse fragen ins besonder von weibes bildern getrieben worden, so doch nicht zur erbawung dienen, als wird der prediger solche entweder nicht beantworten, oder gäntzlich verhüten". Weil die Sache nicht mehr erwähnt wird, scheint sie eingeschlafen zu sein.

In seiner Katechismus-Erklärung fühlt Meyer sich gedrungen, die Leser besonders vor der gefährlichen Variante des Pietismus, dem Labadismus, zu warnen. Nachdem er zutiefst bedauert, daß sich auch in der reformierten Kirche manche Ärgernisse verbreitet haben, indem viele, die es nicht ernst nehmen, zum Abendmahl gehen, viele Irrgeister sich bemerkbar machen und die Kirchenzucht ziemlich danieder liegt, stellt er die entscheidende Frage: "Weil denn alle Kirchen, und selbst die Reformirte, verfallen ist, mag man sich auch davon nicht trennen und eine neue suchen auffzurichten, die auß lauter Wiedergebohrenen bestünde, wie solches die Labadisten gesuchet?" Seine Antwort ist eindeutig: "Nein!" Solche Trennung "wird in der Schrifft als ein Werck des Fleisches verdammet". Vielmehr soll jeder "mit Gebett, Lehr und Leben solche Besserung suchen zu beförderen [...] man hüte sich auch, daß man nicht allzu gerecht sey, Eccl. 7,17. Daß aber N.B. das Werck der Labadisten GOtt nicht gefällig gewesen, hat der Außgang gezeiget" (Fr. 1196). Meyer hält daran fest: Kirche in jeder Form bleibt eine Kirche von Sündern, die von Gott angenommen werden.

Bei seiner tiefen Frömmigkeit und Jesusliebe, die immer wieder zum Vorschein kommen - z. B. in der Beschreibung des Leidens Christi (Fr. 959ff) - und seiner offenkundigen Nähe zur Bundestheologie des Coccejus, richtet er sein Hauptaugenmerk doch auf die rechte Lehre. Zahlreich sind seine Angriffe auf die früheren und aktuellen Irrlehren der Wiedertäufer, Pelagianer, Arminianer, Arianer, Photinianer, Chiliasten, Remonstranten, Novatianer, Geisttreiber, Donatisten und besonders häufig auf die Sozinianer, vor deren Verleugnung der Trinität, Christologie und Sakramentslehre er immer wieder warnt. Natürlich wendet er sich gegen die Lutheraner, greift ihre Ubiquitätslehre an (Fr. 1027, 1510) und äußert sich abfällig darüber, daß sie beim Abendmahl nicht "wahrhafftes und nahrhafftes" Brot, sondern Oblaten - er nennt sie "Schaumbrot" - austeilen, das weder zum Brechen noch zum Essen tauge.

Auch als Befürworter der Kirchenzucht, deren Verfall er beklagt (Fr. 1188, 1195), und in einer ausführlichen Darstellung der Praedestinationslehre (die im Heidelberger Katechismus gar nicht behandelt wird) zeigt er sich als rechtgläubiger, konservativer Theologe, der sich dem Pietismus nicht öffnet. Analog zur Schriftnähe des Heidelberger zieht er in geradezu orthodoxer Manier zu seinen beinahe 2000 Fragen und Antworten fast überall Schriftbeweise wie dicta probantia heran:

Ausführlich ist seine Kritik an der katholischen Kirche, vor allem was ihre Stellung zur Heiligen Schrift betrifft (Fr. 23). Den Römischen gelte "die Kirche mehr als GOttes Wort". So habe man "die Bibel einem Papste (Leoni dem Zehnten) im Concilio unter die Füsse geleget". Speziell die Fragen zum Abendmahl geben Meyer Veranlassung, die katholische Lehre anzugreifen. In diesem Zusammenhang zitiert er - es ist eine der relativ wenigen Stellen in seinem Buch - den Katechismus mit seiner polemischen Formulierung wörtlich. Die Frage 80 - genau genommen Frage 80b, die erst in der zweiten Auflage des Katechismus auf Betreiben von Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz vor dem Hintergrund der gewalttätigen Gegenreformation hinzugefügt wurde - gibt er im Wortlaut wieder. Die römische Messe sei "eine vermaledeite Abgötterei". Karl Barth nennt das den "zornigen Ausbruch des Heidelberger Katechismus". Meyer stellt diese Formulierung besonders heraus und analysiert sie ausgiebig (Fr. 1540-1545). Bei der Behandlung des zweiten Gebotes hält er der katholischen Argumentation, die Andacht der Gläubigen sei doch ganz auf Gott gerichtet und die Bilder gebrauche man nur "zum Gedächtnüs und Behülff-Mittel", entgegen: Wenn das wirklich so wäre, dann reiche es doch, nur ein Marienbild im Hause zu haben. "Warumb halten sie dann Wallfahrten nach diesem oder jenem Bilde, als nach Kevelar, Scharpenhügel und sonsten mehr?" (Fr. 1708)

Seine Ablehnung des Judentums, zwar meistens pauschal zusammen mit dem Heidentum, ragt aus der Reihe der verhängnisvollen und folgenschweren Fehlleistungen damaliger christlicher Theologie unangenehm hervor. Meyer versteigt sich dabei nämlich zu der in der Heiligen Schrift durch nichts zu belegenden, ja der Bibel widersprechenden Aussage, Jesus "muste das Judenthum zerstöhren". Dieser seltene, auf reformiertem Boden vielleicht singuläre Höhepunkt antijüdischen Urteils ist bei Meyer leider keine einmalige Entgleisung. Positiv spricht er von den Juden nur in seinem kirchengeschichtlichen Anhang. In der Zeit der Reformation seien verschiedene von ihnen Christen geworden, und man habe "auß ihren Schrifften viel Gutes, zur Beförderung des heiligen Evangelii, überkommen".

Meyers manchmal originelle Gedanken und einprägsame Formulierungen begegnen an vielen Stellen:

"Die runde Welt-Kugel kann unser dreyeckiges Hertz nicht füllen, sondern nur der dreyeinige Gott" (Fr. 99).
Eva sei nicht aus dem Haupt des Adam geschaffen worden, "damit das Weib nicht über den Mann herrschete". Auch nicht von Adams Füßen, "damit er sie nicht mit Füssen trätte". Vielmehr sei sie aus seiner Rippe geschaffen, "damit sie als vom Herzen genommen, er sie vor sein Mit-Gespann und Gesellin hielte; ja auch von ihm bedecket würde" (Fr. 643).
Zum fünften Gebot stellt er die Frage: "Ist nicht ein besonder Stück, darinnen die Kinder ihren leiblichen Eltern müssen gehorchen?" Und er gibt die Antwort: "Ja, im Heyrathen: so daß sie nicht verfahren nach ihrem Willen, sondern nach dem rechtmässigen Willen der Elteren, sonst würden dieselbe und ihre güter eines andern, und ein ander wider ihren Willen in ihr Hauß gebracht" (Fr. 1759).
Zum achten Gebot nimmt er den Einwand auf: "Gehöret nicht auch zum stehlen, daß die Israeliter denen Egyptiern das ihrige abliehen und also entwandten?" Antwort: "Nein: dann Gott, der ein HERR über alles ist, hatte es befohlen, und das weil sie es durch ihr frohnen, und sonsten, doppelt verdienet hatten, siehe Exod. 11, 2 sonderlich weil Gott es mit verwenden wollte zu der Stiffts-Hütte; zum Vorbild, wie der Heyden Güter Ihme sollten heilig werden" (Fr. 1804).